Tag 2: Ghost-Town - vom Kampf gegen das Verlieren

Zeugin der brutalen Kraft eines Erbebens: die Christus-Kathedrale in Christchurch. Seit über zwei Jahren eine Ruine.

Im Grunde ist es wirklich traurig: Christchurch, mit einst über 360.000 Einwohnern, bekommt von so ziemlich jedem Reiseführer (verdientermaßen) eine gewaltige Dosis Mitleid ab. Die Stadt würde sich nach den zwei verheerenden Erdbeben von 2010 und 2011 langsam wieder erholen und befände sich auf dem Weg nach oben, schreiben die Autoren. Mit guter Absicht. Doch die Wirklichkeit sieht anders und erschreckend aus. Christchurch ist wie paralysiert. Die drittgrößte Metropole der Kiwis ist eine Geisterstadt. Seltsam unbelebt und etwas verstörend - zumindest für von Erdbeben weitestgehend verschonten Mitteleuropäern.

 

Wo der Turm der Kathedrale stand, ist nur noch das einst stützende Stahlskelett übrig.

Vorweg muss man wissen: Die Neuseeländer, insbesondere die Christchurcher, die ihreStadt liebevoll ChCh (tschtsch) abkürzen, können nichts für diese missliche Situation. Als sich die Erde in 2010 und noch brutaler am 11. Februar 2011 schüttelte, verwandelte sie die einst so pulsierende, ehemalige Kolonialstadt in ein Trümmerfeld. 181 Tote waren zu beklagen und kaum ein Gebäude, das nicht in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Zahllose Häuser, insbesondere die ältesten, stürzten in sich zusammen. So auch die Christus-Kathedrale, deren Turm direkt ins Kirchenschiff krachte.

Kunst und Chaos: In Christchurch feiern Künstler das Leben mit bunt bemalten Eiern als Keimzelle des neuen Anfangs. Im Hintergrund sieht man die Zerstörung.
Fast 50 Prozent der historischen Gebäude sind nicht mehr zu betreten - Einsturzgefahr!

Die Christchurcher sind fleißige Menschen, kämpfen anerkennenswert um den Wiederaufbau. Die Trümmer sind weitestgehend weg geräumt, doch - und das macht es so unheimlich - der Stadt hängt eben der Nimbus an, ES könnte jederzeit wieder passieren. Wohl auch deshalb läuft es mit der Wiederbelebung eher schleppend, wenn überhaupt. Wer an einem Sonnabend durch die Innenstadt schlendert, trifft auf eingezäunte, hermetisch abgeriegelte Einkaufszentren, in die seit zwei Jahren kein Mensch mehr einen Fuß setzen durfte. Aus statischen Gründen gesperrte Hotels, in denen immer noch das verstaubte Gepäck der beim letzten Beben geflohenen Touristen steht. Und die Wahrheit ist, dass nur wenige Geschäftsleute, Gastronomen und andere Unternehmer einen Neuanfang wagen. Im Gegenteil. Denn wer baut sein Geschäft schon gerne auf tönerne Füße? Wenn ein "Earthquake" in Sekunden jahrelange Arbeit zunichte machen kann? In jedem Fall ist es, für die es wagen, ein ständiger Kampf gegen das Verlieren.

Ein Foto, das sich selbst erklärt...

Symbolisch, aber nicht repräsentativ: ein Einheimischer in einem der wenigen noch geöffneten Cafés am Worcester Boulevard. Abends herrscht dann doch mehr Leben.

Es ist beklemmend: Im 10. Stock unseres Hotels, noch wach wegen des Jet-Lags, werden wir mitten in der Nacht von einem Grummeln aufgeschreckt. Deutlich wahrnehmbar. Als hätte jemand im Erdgeschoss kurz einen Presslufthammer angesetzt. Es ist eines dieser unzähligen Mini-Nachbeben, an die sich die Menschen hier möglicherweise gewöhnt haben. Unsereins ist verunsichert. 10. Stock? Wie verhält man sich, wenn es richtig rummst? Wie kommt man hier raus? Eine Stunde später übermannt einen dann doch wieder der Schlaf.

Wie eine Wunde klafft eine riesige Baulücke an der Hereford Street. Hier stürzte ein Großgebäude in sich zusammen. Die Trümmer sind beseitigt.

Am nächsten Morgen fallen die vielen kleinen, leer stehenden Boutiquen und Cafés in der New Regent Street auf. Die Gegend war vor den Beben bekannt für die vielen Künstler und Savoir Vivres der Stadt. An der Cambridge- und Oxford-Terrace gähnen gewaltige Baulücken. Gleich nebenan im wunderschönen Hagley Park mit seinen gewaltigen Redwood Bäumen scheint es nie ein Erdbeben gegeben zu haben.

Man kann den Christchurchern nur die Daumen drücken. Dass ihre Stadt doch noch ein Revival erlebt und vor allem aber von einem weiteren Erdbeben verschont bleibt...

 

Touristenattraktion: Die historische Tram fährt wieder durch Christchurch.
 
Dieser silberne Gartenzwerg leuchtet hinter einer Umzäunung eines geschlossenen Einkaufszentrums in der Sonne. Ein stummer Zeuge des letzten Erdbebens.